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Der scharfe Geschmack

Scharf kann uns einheizen. Scharf kann uns austrocknen. Schaft kann die Immunität stärken. Scharf kann den Körper schwächen. Es kommt auf die Dosis und den Einsatzbereich an.

Der scharfe Geschmack ist der Botschaftsgeschmack des Metallelements. Die Wirkung des scharfen Geschmacks lässt sich leicht nachvollziehen, wenn man zum Beispiel eine ganze Chili-Schote verspeist: Man spürt die Hitze, man spürt, wie einem heiß wird, im Mund, im Kopf, im Oberkörper, man beginnt zu schwitzen, das gesamte System kommt in Bewegung. Der scharfe Geschmack leitet Energie nach oben und nach außen, er wirkt schweißtreibend, verteilend und zerstreuend. Durch diese stark dynamisierende Qualität erzeugen die meisten scharfen Nahrungsmittel auch Wärme. Bewegungen wir uns, wird uns ebenfalls warm. Bewegt sich die Energie in uns, produziert sie Wärme. Wird die Energie stark bewegt, entsteht sogar Hitze. Siehe Chili-Schote. 

Diese Eigenschaften des scharfen Geschmacks sind im Herbst gern gesehen und durchaus erwünscht: Nehmen Nebel und Kälte das Land in Beschlag, darf Scharfes daher ruhig öfters am Speiseplan stehen.

Warum? Die generelle Wirkrichtung des Metallelements geht nach unten und nach innen. Das ist ebenso die Wirkrichtung der dem Metallelement zugeordneten Lunge, deren Funktion es ist, mit dem Ausatmen die Energie abzusenken und zu verdichten. Die Lunge hat jedoch ebenso eine ausdehnende Wirkrichtung, die Energie vom Zentrum zur Peripherie bringt. Diese zwei eigentlich entgegengesetzten Energierichtungen entsprechen der Doppelnatur des Metallelements, das sich durch viele Gegensätze auszeichnet, wie die zwei Seiten einer Münze, die aber doch zu einem großen Ganzen gehören, wie das Ein- und Ausatmen zusammen den Atemprozess ergeben. Die Lunge kann also beides: Sich verdichten. Sich Raum nehmen.

Mit ihrer expansiven Qualität versorgt die Lunge einerseits die unter ihrem Einflussbereich stehende Haut, die ebenfalls ein Atmungsorgan ist. Andererseits verteilt die Lunge mit dieser ausdehnenden Bewegung die sogenannte Abwehrenergie, in der TCM auch Wei Qi genannt. Diese Abwehrenergie kann man sich wie eine Art Schutzschild vorstellen, das im Herbst vor allem gegen Wind, Kälte, aber auch gegen Krankheitserreger schützt. In der TCM spricht man diesbezüglich von den so genannten pathogenen Faktoren. Ohne dem von der Lunge aufrecht erhaltenen Schutzschild, ohne der Abwehrenergie Wei Qi, wäre der Körper hilflos äußeren Einflüssen ausgesetzt, ohne diesen etwas entgegen stellen zu können und befände sich in der kalten Jahreszeit höchstwahrscheinlich in einem Zustand der Dauerkrankheit. Was zu tun ist: Den Schutzschild aktiveren. Wie? Durch scharfes Essen oder Trinken. So wird der verteilende Aspekt der Lunge aktiviert, um der nach innen gerichteten und sich stetig verdichtenden Wirkrichtung des Metallelements einen Ausgleich gegenüber zu stellen.

Der scharfe Geschmack unterstützt die Lunge also bei ihrer Aufgabe, den Energiefluss an der Peripherie aufrecht zu erhalten, pathogene Faktoren abzuwehren und diese im Fall einer beginnenden Krankheit wieder aus dem System zu vertreiben.

Ist der pathogene Faktor von kalter Natur oder geht er mit Kälte einher, wie zum Beispiel die Kombination von Wind und Kälte, ein Zusammentreffen, das im Herbst gerne und häufig statt findet, dann verschließen sie nach dem Eindringen des pathogenen Faktors in den Körper die Poren und die somit innerhalb des Systems konzentrierte Kälte bringt sukzessive den Energiefluss zum Erliegen: Die Lebensenergie verlangsamt sich, friert ein. Nicht ohne Grund spürt man bei sich manifestierenden Erkältungen oft eine Form von Steifheit oder ziehenden Schmerzen in der Muskulatur, vor allem im Kopf und Nackenbereit, also in den wetterexponierten und somit für pathogene Faktoren besonders anfälligen Körperteilen, wo sich durch die Verlangsamung des Energieflusses eine Stagnation aufbaut, die für diese Empfindungen verantwortlich ist. Zeigen sich die ersten Anzeichen einer Erkältung, sind Lebensmittel oder Getränke mit scharfem Geschmack ideal, von Lauch bis Kimchi, von Ingwertee bis Glühwein: Denn die Schärfe öffnet die Poren und treibt die pathogenen Faktoren von innen nach außen. Man schwitzt die Kälte oder die Erreger hinaus. In einem klassischen Textbuch der chinesischen Medizin steht geschrieben: „Das Scharfe tritt als Geschmack in den Körper ein und verlässt ihn wieder über den Schweiß.“ Bei diesem Verlassen nimmt das Scharfe dann gleich mit, was es so auf dem Weg begegnet. Den pathogenen Faktor zum Beispiel.

Der zerstreuende und dynamisierende Effekt des scharfen Geschmacks sorgt wiederum dafür, dass der Energiefluss im System aufrecht bleibt, gerade weil der Herbst eine Jahreszeit ist, in der physische und andere Aktivitäten generell abnehmen und diese Abnahme schnell einmal dazu führen kann, dass sich Stagnation im Körper, Geist und Seele breit macht: Man fühlt sich müde aber angespannt, erschöpft aber gestaut. Wie beim Eindringen eines pathogenen Faktors kann sich diese Stagnation auf der physischen Ebene in Form von Steifheit und Schmerzen ausdrücken. Scharfes kann hier helfen, ob innerlich oder äußerlich angewandt: Die Energie wird wieder in Bewegung gebracht, die Zirkulation von Blut und Körperflüssigkeiten wird angeregt, die Lebensgeister werden angekurbelt. Dieser bewegende Aspekt des scharfen Geschmacks tut aber nicht nur generell dem Antrieb, sondern im Speziellen auch dem Trieb gut: Scharf macht auch scharf. Scharf steigert und fördert die Libido. Denn auch diese macht im Herbst des Jahres, im Herbst einer Beziehung oder im Herbst des Lebens hin und wieder einmal schlapp.

Ein weiterer Aspekt des scharfen Geschmacks ist seine verdauungsfördernde Wirkung. Viele Lebensmitteln mit scharfem Geschmack sind thermisch warm oder heiß. Scharf bringt also Bewegung und Wärme ins Gedärm: Das Verdauungsfeuer wird angeregt und der Verdauungsprozess wird lebendig gehalten. Das ist zum Beispiel auch der Grund, warum in vielen heißen Ländern gerne scharf gewesen. Denn unser Schutzschild, das Wei Qi schützt nicht nur gegen Kälte, es schützt auch gegen Hitze. In heißen Ländern befindet sich daher viel Energie an der Peripherie, um den Körper zu schützen, quasi wie ein energetischer Sonnenschirm. Das heißt allerdings auch, dass sich weniger Energie im Zentrum, im Verdauungstrakt befindet. Das scharfe Essen bringt das Feuer zurück in den Bauch und öffnet gleichzeitig die Poren, um durch Schwitzen das System beim peripheren Abkühlungsprozess zu unterstützen. Mäßig scharfes Essen in der kalten Jahreszeit ist wie ein zweites Feuer im Inneren, das für zusätzliche Wärme sorgen kann.

Überhaupt: Geht es um scharf, dann ist Mäßigung angesagt, außer im Akutfall, wie eben bei einer beginnende Erkältung.

Die öffnende und schweißtreibende Qualität des scharfen Geschmacks kann bei übertriebenem Genuss schnell einmal zu Trockenheitszuständen führen. Natürlich: Weiß man um diese Wirkung, kann man sie bewusst einsetzen, zum Beispiel wenn das System unter zu viel Feuchtigkeit leidet. Es ist eine Kernqualität des Metallelements, das Überflüssige auszutrocknen, siehe die Blätter der Bäume und Pflanzen im Herbst. Zuviel an Trockenheit ist in unserem Körper jedoch nicht erwünscht: Vor allem das Blut und die Körpersäfte können dadurch geschädigt werden. Das mit den Körpersäften erscheint logisch. Wer vermehrt schwitzt, verliert Flüssigkeit. Auf der Blutebene können scharfe Lebensmittel durch die Beschleunigung der Energie und ihren primär warmen bis heißen Charakter einen Zustand hervorrufen, der in der Traditionellen Chinesischen Medizin Bluthitze genannt wird. Diese Hitze führt wiederum zu einem Verdunstungsprozess: Das Blut dickt ein, fließt aufgrund seiner zähen Natur nicht mehr optimal durch unser System und kann seiner Versorgungsrolle nicht mehr wirklich gerecht werden. Die Folgewirkungen dieses Austrocknungsprozess können trockene Haut, trockene Schleimhäute, trockener Stuhlgang, trockene Augen oder brüchige Fingernägel sein. In einem fortgeschrittenem Stadium kann die durch scharfe Lebensmittel hervorgerufene innere Hitze sogar zu Akne, Neurodermitis, Bluthochdruck oder Schlafstörungen führen. Vor allem geschwächte Personen sollten mit scharfen Lebensmitteln daher behutsam umgehen: Wer über wenig Energiereserven verfügt, sollte diese nicht auch noch zerstreuen. Das tut der scharfe Geschmack.

Zusammengefasst ergeben sich daher folgende Kontraindikationen für den scharfen Geschmack: Blut-Mangel, Yin-Mangel, Säfte-Mangel oder Hitze-Zustände. Auf gut deutsch: Eher dünnhäutige, ausgetrocknete, dünne, latent nervöse und innerlich angespannte Personen sollten die Finger von Scharfem lassen.

Wirkungsweise scharfer Geschmack

  • verteilend
  • zerstreuend
  • schweißtreibend
  • bewegend
  • treibt pathogene Faktoren von innen nach außen
  • stärkt Libido
  • trocknet aus

Indikationen scharfer Geschmack

  • Erkältungskrankheiten
  • Verdauungsschwäche
  • Müdigkeit, Stagnation 
  • Feuchtigkeitszustände

Kontraindikationen scharfer Geschmack

  • Trockenheitszustände (Säfte-Mangel)
  • wenig Energie
  • Bluthochdruck
  • Akne, Neurodermitis (Bluthitze)
  • Schlafstörungen (Yin-Mangel)

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